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Romantik in Schlesien – Industrie, Natur, Kultur

Kattowitz - Straßenzug © polnisches Fremdenverkehrsamt
Kattowitz © Polnisches Fremdenverkehrsamt

Mein heutiger Artikel behandelt Schlesien, das von den meisten Reiseangeboten unberücksichtigt bleibt. Wie Sie sehen werden, lässt sich der Touristiker dabei einiges entgehen. Schlesien ist ein touristisches Kleinod, das sich mit der Überschrift „Romantik in Schlesien – Industrie, Natur, Kultur“ versehen lässt.

Die einstige Provinz Schlesien, wurde schon nach dem Ersten Weltkrieg in zwei Provinzen unterteilt: Niederschlesien und Oberschlesien. Heute ist das einstige Schlesien sogar in drei Woiwodschaften Niederschlesien (Województwo Dolnośląskie), Oppeln (Województwo Opolskie) und Schlesien (Województwo Śląskie) unterteilt. Niederschlesien umfasst die Regionen Liegnitz (Legnica) und Breslau (Wrocław) mit dem Riesengebirge und entspricht weitestgehend dem Vorkriegs-Niederschlesien. Die Woiwodschaft Oppeln umfasst den westlichen Teil des einstigen Oberschlesiens, die Woiwodschaft Śląsk den Ostteil.

Die meisten Reiseangebote beziehen sich heute auf den Bereich Niederschlesien, der östliche Teil bleibt meist vernachlässigt. Allenfalls Oppeln wird zuweilen angesteuert, auch weil es das Zentrum der deutschen Minderheit in Polen ist. Doch war und ist Schlesien in seiner Gesamtheit als ein Kulturraum zu sehen mit vielen Einflüssen von Polen, Böhmen, Habsburgern, Juden und Preußen. Und es ist als Ganzes besuchenswert. Dabei wird Ihnen auffallen, dass auch Oberschlesien weit entfernt davon ist, eine Region rauchender Schlote, des Kohlestaubs und trostloser Industriebrache zu sein. Ich möchte Ihnen deshalb heute zeigen, dass es außerhalb von Breslau, den schlesischen Kurorten, oder dem Hirschberger Tal der Schlösser viel Überraschendes und Spannendes in Schlesien zu entdecken gibt. Vielmehr ist Schlesien Romantik pur in Industrie, Natur und Kultur – mit Menschen verschiedener Abstammungen, die sich immer mehr gemeinsam als Schlesier identifizieren. Begleiten Sie mich doch.

Oppeln – Das Venedig Schlesiens

Oppeln (Opole) ist die deutscheste Stadt in Polen. Kein Wunder, ist die Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft doch das Zentrum der deutschen Minderheit im Land. So ist Oppeln bis heute identitätsstiftend, weil die Stadt für das deutsch-preußische Schlesien und damit für die jüngsten schlesischen Einflüsse steht. Eines werden Ihre Reisenden auch in Oppeln bald entdecken: Immer mehr Schlesier fühlen sich heute als Schlesier und geben das bei Volkszählungen auch gern so an. Das gilt auch für viele deutschstämmige Schlesier und ihre Nachkommen. Tatsächlich haben sich bei der letzten Volkszählung fast 200.000 Menschen als Schlesier bezeichnet und nicht etwa als Deutsche oder Polen.

„Venedig Schlesiens“ wird Oppeln, die Stadt an der Oder auch genannt. Sie ist reizvoll in den Hügeln des Oppelner Lands gelegen und hat knapp 130.000 Einwohner. Den Namen trägt die Stadt mit den vielen Grünanlagen und dem Zoo auf der Insel Pasieka wegen ihrer vielen Brücken. Auf der Insel Pasieka befindet sich auch das älteste Bauwerk der Stadt, der Piastenturm aus dem 14. Jahrhundert, der ein Überrest der Burg ist und heute als Aussichtsturm dient. Malerisch ist die Groschenbrücke über einen Oder-Seitenarm. Und natürlich gehören Kirchen zu Oppeln, gleich vier davon bestimmen das Altstadtbild mit. Highlight aber ist der große, von barocken und klassizistischen Bürgerhäusern umstandene Marktpletz (Rynek). Ihn dominiert das Rathaus, das die Besucher überraschen wird. Es sieht aus wie ein Renaissancebau, wurde aber erst zwischen1818 und 1824 umgebaut. Inspiriert wurde man damals vom Florentiner Palazzo Vecchio. Das ist der Grund, warum das Rathaus bis heute ein mediterranes Flair ausstrahlt.

Der St. Annaberg – Identitätsstiftend für Polen und Deutsche

St.Annaberg © polnisches Fremdenverkehrsamt
St.Annaberg © Polnisches Fremdenverkehrsamt

Auf dem 411 Meter hohen Chelm-Berg (Góra Chełm) liegt der Wallfahrtsort St. Annaberg (Góra Św. Anny). Zum Wallfahrtsort gehören das Franziskanerkloster, die 1749 fertiggestellten Klosterkirche sowie der 1709 nach dem Vorbild von Zebrzydowska erbaute Kalvarienberg mit 37 Kirchen und drei Kapellen. Verehrt wird auf dem St. Annaberg die Holzstatue der Schutzheiligen Anna.

Der St. Annaberg ist der Wallfahrtsort der Schlesier schlechthin und gilt als ihr religiöses Zentrum. Er ist nur 30 km von Oppeln entfernt und gehörte spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für Polen und Deutschen zu den identitätsstiftenden Orten für ein polnisches oder ein deutsches Schlesien. Zur Zeit der Volksabstimmungen und des 3.schlesischen Aufstands wurde der St. Annaberg zum umkämpften Symbol blutiger Auseinandersetzungen. Erst nach 1989 wurde der St. Annaberg wieder zum Wallfahrtsort aller Schlesier und zum Symbol der Versöhnung. Dafür steht auch Alfons Nossol, der emeritierte Bischof von Oppeln, der Schlesier ist, und beide Staatsbürgerschaften besitzt. Das Wirken des großen Brückenbauers ist durch wegweisende Predigten untrennbar mit dem St. Annaberg und Oppeln verbunden.

Franziskanerkloster (Klasztor Franciszkanów)
ul. Klasztorna 6
47-154 Góra Sw. Anny
E-Mail: sanktuarium@swanna.com.pl
swanna.com.pl

Gleiwitz – Der berühmte Radiosender

Gleiwitz © polnisches Fremdenverkehrsamt
Gleiwitz © Polnisches Fremdenverkehrsamt

Das seit dem 13. Jahrhundert bestehende Gleiwitz (Gliwice), ist eine der ältesten Städte Oberschlesiens und hat heute 185.000 Einwohner. Die weitgehend erhaltene schöne Altstadt gruppiert sich um den Marktplatz (Rynek) mit dem Rathaus im Zentrum. Weiter sehenswert sind die Stadtmauer und das Piastenschlösschen sowie die gotische Allerheiligenkirche, deren älteste Teile aus dem Jahr 1504 stammen.

Berühmt wurde Gleiwitz aber 1939 durch seinen Radiosender. Damals war Gleiwitz deutsch-polnische Grenzstadt am westlichen Ende des oberschlesischen Industriegebiets. Ein von SS-Männern in polnischen Uniformen am 31. August 1939 inszenierter vorgetäuschter Überfall auf den Reichssender Gleiwitz wurde als Vorwand benutzt, um am 1. September 1939 den Überfall auf Polen zu rechtfertigen. Dazu wurden ermordete KZ-Häftlinge missbraucht, die auf dem „Schlachtfeld“ drapiert wurden. Der 111 Meter hohe Lerchenholzturm wurde 1935 hergestellt und im Volksmund „Schlesischer Eiffelturm“ genannt. Er beherbergt heute ein Museum. Mein Tipp: Wer ungeschönt mehr über die Geschichte der Septembertage 1939 und die letzten Jahre als deutsche Stadt erfahren möchte, kann das mit den Romanen des Gleiwitzer Schriftstellers Horst Bienek tun, die auch zu einem literarischen Gleiwitz-Rundgang taugen (Gleiwitz: Eine oberschlesische Chronik in vier Romanen).

Radiostacja Gliwice
ul. Tarnogórska 129
44–100 Gliwice
E-Mail: info@muzeum.gliwice.pl
www.muzeum.gliwice.pl/gliwicka-radiostacja

Kattowitz – Die oberschlesische Metropole

Kattowitz (Katowice) ist Hauptstadt der Woiwodschaft Śląskie und mit 320.000 Einwohnern zugleich Zentrum des Oberschlesischen Industriegebiets. In diesem Ballungsgebiet leben rund 3,5 Millionen Menschen. Dabei ist die oberschlesische Metropole mit dem internationalen Flughafen eine junge Stadt, die mit dem Bergbau und Stahlproduktion seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein rasantes Wachstum hinlegte und reich wurde. Entsprechend schöne Jugendstilbauten finden sich im Zentrum in der Nähe von Bahnhof und Marktplatz. Inzwischen wird die Stadt in genauso rasantem Tempo immer mehr zur postindustriellen Großstadt, die meisterhaft die Umwidmung von alter Industrie zu Kulturtreffpunkten beherrscht. Damit beginnt die einstige Region der grau rauchenden Schlote und des Kohlestaubs die Entwicklung des Ruhrgebiets nachzumachen. Zweites Standbein von Kattowitz ist die Ausrichtung großer Sportevents.

Auf dem Gelände einer innerstädtischen Steinkohlegrube entsteht die neue kulturelle Mitte der Stadt längs der „Achse der Kultur“. Den Anfang machte das Konzerthaus des Nationalen Polnischen Radio-Symphonieorchesters mit architektonisch reduzierten Formen. Seine Backsteinfronten nehmen Bezug auf preußische Zeiten. Das Konzerthaus liegt in Nachbarschaft zum Neubau des Schlesischen Museums mit der interessanten Dauerausstellung zur Schlesischen Geschichte und Kultur. Gegenüber fällt der Blick auf das legendäre Veranstaltungszentrum Spodek, neben dem ein Konferenzzentrum entstanden ist.

Doch ist Kattowitz auch eine ausgesprochen grüne Stadt, in der über 40% der Fläche aus Wäldern besteht. Beliebtestes Naherholungsgebiet ist der Silesia Park (Park Śląski), der sich zwischen Kattowitz und Königshütte (Chorzów) erstreckt. Dort warten das Oberschlesische Freilichtmuseum (Górnośląski Park Etnograficzny), der Zoo und Polens größtes und ältestes Planetarium auf Besucher.

Die Natur – Eichendorff und das schlesische Arkadien

Nach so viel städtischem Leben wird es Zeit aufs Land zu kommen. Es geht über Ratibor (Raciborz) nach Lubowitz (Lubowice), wo der große Dichter der Romantik Joseph von Eichendorff 1788 geboren wurde. Sein Arkadien, die unbekannte malerische Landschaft der Hügel und Täler einer glückseligen Erinnerung sah er von seinem Fenster des Familien-Schlosses Lubowitz aus. Das Bild zu „Oh Täler weit, oh Höhen“ stammt aus dieser Region. Nicht nur in Eichendorffs Werken kam diese Formulierung vor, sie erschien so oder ähnlich auch bei Herder, E. T. A. Hoffmann und Goethe.

Joseph von Eichendorff kehrte später immer wieder nach Lubowitz zurück, bis das Schloss 1823 wegen einer finanziellen Zwangslage der Familie abgegeben werden musste. Auch wenn vom barocken Schloss der Familie von Eichendorff heute nur noch eine Ruine steht, wird das Andenken an den großen Sohn, der dort 1788 geboren wurde, doch gepflegt. Ein Flügel des Schlosses soll wiederaufgebaut werden. Das Eichendorff-Zentrum unterhält in Lubowitz eine Eichendorff-Gedenkstube.

Górnośląskie Centrum Kultury i Spotkań im. Eichendorffa,
ul. Zamkowa 1 – 3
PL-47- 411 Łubowice
www.eichendorff.pl

Im benachbarten Bresnitz (Brzeznica) wurde vor einigen Jahren eine alte Mühle saniert, die mit dem Werk Eichendorffs verbunden sein soll. Seine unglückliche Liebe zur Bresnitzer Müllerstochter nämlich soll den Dichter zum Gedicht „In einem kühlen Grunde“ inspiriert haben. Eine andere Legende jedoch berichtet, dass seine Inspiration von einer Heidelberger Mühle stammt.

Vielfach entwirft Eichendorff in seinen Werken das Bild einer arkadischen, intakten mitteleuropäischen Kulturlandschaft, die dem klassischen Vorbild nahe kommt. Im Gegensatz zur ihr steht die Wildnis, heute aber vor allem die zersiedelte Industrielandschaft. Beides können Ihre Reisenden in Schlesien auf nur einer Reise entdecken. Den Polen gilt der tolerante Eichendorff, der in viele Länder bereiste und mehrere Sprachen sprach – darunter auch Polnisch – als frühes Vorbild für das heutige Europa. Und so werden Ihre Reisenden diese Region und ganz Schlesien heute auch erleben: als gemeinsame europäische Kulturregion Schlesien.

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