Russische Zwiebeltürme und russischen Kreuze mitten in Masuren? Nein, das sind nicht etwa Relikte der Kämpfe des 1. Weltkriegs auf ostpreußischem Boden. In Wojnowo handelt es sich um eine Ansiedlung russischer Glaubensflüchtlinge in Preußen, das den russischen Flüchtlingen damals Glaubensfreiheit bot. Zentrum der masurischen Ansiedlung der russischen „Altgläubigen“ war Wojnowo, das einstige Eckertsdorf zwischen Ruciane-Nida und Mikołajki. Heute möchte ich Ihnen die Geschichte rund um diese Glaubensflüchtlinge in der Johannisburger Heide erzählen, und Sie informieren, was Sie und Ihre Gäste dort sehen können.
Die Entstehung der „Altgläubigen“
Inhaltsverzeichnis
Mitte des 17. Jahrhunderts beschloss das Große Moskauer Konzil, das vom Moskauer Patriarchen Nikon geleitete wurde, einige für die russisch-orthodoxe Kirche verbindliche Reformen. Von diesen Reformen betroffen waren sowohl einige Riten als auch einige Schriften. Vom Konzil wurde bei den betroffenen Schriften ein Abweichen von den ursprünglichen griechischen Quellen festgestellt, was nun korrigiert werden sollte. Doch konnten nicht alle Gläubigen diese Korrekturen und Reformen nachvollziehen, sie bestanden darauf, an den ihrer Meinung nach unverfälschten Quellen in Gebets- und Gesangbüchern und den darauf beruhenden Riten und Liturgien festzuhalten.
So kam es zur Abspaltung der „Altgläubigen“ (Starowiercy) von der russisch-orthodoxen Mutterkirche; die Altgläubigen nannten sich selbst nach ihrem Anführer Philip Pustoswiat „Philiponen“. Sie lehnten nicht nur die reformierten Quellen ab, sondern teilten sich wiederum in „priesterlose“ und in solche Altgläubige, die eine pastorale Hierarchie mit einem Popen akzeptierten. Die „Priesterlosen“ lehnten die Priesterweihe ab, den Gottesdienst leitete bei ihnen ein Staryk, ein von der Gemeinde gewählter Ältester. Von den Sakramenten akzeptierte diese Gruppe nur Taufe und Beichte. Genauso abgelehnt wurde jede Art von Einsegnung und auch die Trauung. Ferner lehnte die Altgläubigen das Gebet für den Zaren ab, jegliche Eidesform und den Militärdienst. Theater, Medizin, Tabak und Kaffee waren verpönt, Familiennamen und die Beschulung von Mädchen wurden abgelehnt.
Die Auswanderung der Philiponen nach Masuren
Es waren vor allem das verweigerte Zarengebet, die Ablehnung des Militärdiensts und des Eides, die die Philiponen bald zur Flucht zwangen. Zunächst siedelten Sie sich im Gebiet Suwalki-Sejny an, das damals zu Polen gehörte. Und Polen war für seine religiöse Toleranz bekannt. Nach den polnischen Teilungen 1772-1795 jedoch, gehörte auch diese Region zu Russland und die Philiponen zogen 1824 nach Ostpreußen, denn in Preußen konnte jeder religiös nach „seiner Façon selig werden“. Sie kamen mit Erlaubnis des preußischen Königs Friedrich Wilhelm des III. Hier gründeten sie u.a. die Siedlungen Eckertsdorf (Wojnowo), Ukta (Ukta), Schönfließ (Swignajno Ml.) und Dietrichswalde (Wolka). In diesen Dörfern zeugen bis heute die typisch russischen Blockhäuser und die Banjas (Badehäuser) von den Glaubensflüchtlingen.
Das religiöse Zentrum Eckertsdorf (Wojnowo)
Religiöses Zentrum der Altgläubigen-Siedlungen wurde der 1832 gegründete Ort Eckertsdorf. Benannt wurde das Dorf nach dem Forstmeister Eckert, der auch die Philiponen betreute, die als Waldarbeiter sehr geschätzt waren und die Philiponen-Ansiedlung an der Krutinna betrieb. Bedingung für die Ansiedlung war der ausschließlich auf unkultiviertes Land beschränkte Landerwerb.
Das religiöse Leben fand bald ein Zentrum in der von Lawrerntij Rastropin am Ufer des Drusensee (Duś-Sees) gegründeten Einöde, die dann nach elf Jahren im Jahr 1847 zum Kloster umgestaltet wurde. Dazu wurde 1840 eine in der Bauart typische orthodoxe Kirche mit Zwiebelturm und russischem Kreuz erbaut. Besonders unter der Leitung des jungen altgläubigen Mönchs Pawel Iwanowiitsch Ledniew, der allgemein Paul der Preuße genannt wurde, blühte das kulturelle und geistige Leben auf. Eine Druckerei wurde bei Pisz gegründet, das Kloster wurde zum Zufluchtsort verfolgter Sektenbrüder. Doch war es auch Bruder Paul der Preuße, der die Philiponensiedlungen in Masuren in eine schwere Krise stürzte. Nach vielen Jahren des Schriftenstudiums kam er zu dem Schluss, dass der Weg der Altgläubigen in die Glaubensirre führte. Er kehrte unter das Dach der russisch-orthodoxen Mutterkirche zurück und verließ Ostpreußen 1867. Sein jahrelanges Wirken aber brachte es mit sich, dass nun auch viele Altgläubigen ihren Glauben in Frage stellten und sich wieder der russisch-orthodoxen Kirche in der Hierarchie unterstellten. Diese Gruppe wurden nun „Gleichgläubige“ (Jednowiercy) genannt. Das Kloster in Wojnowo drohte zu verfallen und ging in Privateigentum über. Doch im Jahr 1885 konnte die Nonne Eupraksja das Kloster zurückkaufen und machte es nunmehr zum Frauenkloster. Es kamen Nonnen aus Russland, auch aus dem abgebrannten Kloster Pupy und binnen weniger Jahre lebten in Wojnowo am Duś-See 25 Nonnen. Die große Blütezeit des Frauenklosters begann nun, die Nonnen betreuten Alte und Kranke und bauten auf dem Acker und im Garten Gemüse und Kartoffeln an.
Die endgültige Spaltung der Altgläubigen
Im Ersten Weltkrieg zur Zeit der Schlachten auf ostpreußischem Boden geriet mit Aleksander Awajew ein russischer Offizier in deutsche Kriegsgefangenschaft, der nach Kriegsende in Deutschland blieb. In Berlin wurde er vom Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland Bischof Jewlogie zum Priester geweiht, und als junger Priester nach Wojnowo in Ostpreußen geschickt. Die Bewegung der „Jedinowjerija”, also der Rückkehr der Altgläubigen unter das Dach der russisch-orthodoxen Mutterkirche hatte damit ab 1921 einen einflussreichen neuen Seelsorger. Schmackhaft gemacht wurde den Altgläubigen die Rückkehr dadurch, dass sie nicht zu einem Wechsel ihrer Riten gezwungen waren.
Im Jahr 1922 hatte Vater Alexander eine hölzerne Kirche mit einem Glockenturm bauen lassen. Daneben wurde ein Gebäude für die neue von ihm gegründete Nonnengemeinschaft gebaut, die dort die neue Kirche betreute. Seit 1946 gehört die orthodoxe Gemeinde Wojnowo dann zur orthodoxen Kirche in Polen. Vater Alexander starb 1956 und wurde auf dem Friedhof hinter der Holzkirche beigesetzt. Die verbliebenen Nonnen zogen in das Frauenkloster auf dem Berg Grabarka. Das alte Nonnenhaus an der Kirche wurde zum Gemeindezentrum und zur Priesterwohnstätte. Die kleine Holzkirche wurde mehrfach geplündert, und viele der prachtvollen Ikonen gingen verloren.
Renoviert wurde die dem Verfall anheim gegebene Holzkirche als 1994 Vater Basilius als Gemeindepfarrer in Wojnowo tätig wurde. Der Bistumsrat Białystok und Gdańsk beschloss 1995, auch die Nonnengemeinschaft wieder in Wojnowo anzusiedeln. Es herrschte wieder klösterliches Leben in Wojnowo, bis die letzte der Nonnen 2006 starb. Philiponen aber gibt es kaum noch in der Region. Der Assimilationsdruck des Deutschen Reichs hatte gewirkt und die meisten Philiponen reisten mit ihren deutschen Nachbarn nach Deutschland aus.
Mein Tipp: Das malerische am Duś-See gelegene Kloster mit dem Friedhof und der Kirche können besichtigt werden, der Ikonenschatz ist trotz der großen Verluste noch immer sehr sehenswert. Genauso sehenswert ist die um 1840 erbaute orthodoxe Holzkirche. Auch ein Rundgang durchs Dorf ist lohnend. Noch immer sind dort Spuren der russischen Glaubensflüchtlinge sichtbar und zeigt ein Stück des untergegangenen, einstmals multikulturellen, toleranten und für Glaubensflüchtlinge offenen Ostpreußens.
Fotonachweis: Polnisches Fremdenverkehrsamt