Dieser Beitrag ist ein Interview mit dem polnischen Fremdenverkehrsamt zum Thema „In Krisenzeiten Urlaub machen?“. Herr Guldon Leiter des polnischen Fremdenverkehramts in Berlin gibt darin eine Einschätzung zur aktuellen und auch generellen Attraktivität der Destination Polen ab. Für Touristiker wie Reiseveranstalter, Reisebüros und sind die Einschätzungen sicher wertvoll.
Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass jeder für sich Frage beantworten muss, ob man in Krisenzeiten Urlaub machen kann. Und nach Einschätzung von Herrn Guldon könnte Polen im langfristigen Trend wirklich eine Top-Destination werden. Aber: lesen Sie selbst!
Marek Brylla: Herr Guldon, wir haben uns vor rund einem Jahr das letzte Mal zu einem Interview (virtuell) getroffen. Damals war Corona das vorherrschende Thema. Alle hatten wir gehofft, dass Polenreisen nach Corona wieder ganz entspannt sind. Aber nun erreichen uns viele Fragen zum Krieg in der Ukraine – und den Einfluss auf Polen.
Der Überfall auf unser Nachbarland ist schrecklich. Wir hoffen alle, dass der Krieg in der Ukraine und damit das Leid der Menschen dort sehr bald beendet wird, denn der Tourismus weltweit lebt vom friedlichen Zusammenleben der Menschen und dem Austausch der Kulturen.
Marek Brylla: Was würden Sie sagen: Kann man in Polen guten Gewissens und damit entspannt Urlaub machen, während in der Ukraine gekämpft wird? Während flüchtende Menschen nach Polen kommen?
Natürlich gibt es Menschen, die angesichts der Bilder des Krieges jetzt generell nicht in Urlaub fahren möchten – ob nach Italien, in die Türkei oder nach Polen. Das muss man akzeptieren. Andererseits sind viele nach zwei Jahren Corona-Beschränkungen und Home-Office auch erschöpft und wünschen sich sehnlichst eine Reise, um sich zu erholen und mal wieder etwas Anderes zu sehen. Auch dieses Bedürfnis ist natürlich legitim.
Momentan können wir nur von der aktuellen Situation ausgehen und feststellen, dass die Situation in Polen nicht unsicherer ist als in Deutschland. Die beliebtesten Reiseziele der Deutschen liegen vor allem im Westen unseres Landes. Ostseebäder wie Kolberg und Swinemünde oder Regionen wie das Riesengebirge und das Hirschberger Tal sind ähnlich weit entfernt von dem Kriegsgeschehen wie beispielsweise Berlin. Der Südosten unseres Landes, der unmittelbar an die Ukraine grenzt, wurde bisher nur von einem kleinen Teil der deutschen Gäste besucht. Wir gehen nicht davon aus, dass Gäste, die ihren Urlaub in Polen verbringen, Einschränkungen hinnehmen müssen. Aber sie werden überall im Land die Zeichen der Solidarität mit unserem Nachbarland Ukraine sehen.
Marek Brylla: Wie sieht es mit der Corona-Situation aus: Kann man trotzdem in Polen sicher Urlaub machen?
Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ist in Polen seit Mitte Februar rückläufig. Sie liegt je 100.000 Einwohner sehr viel niedriger als in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern. Schon seit einiger Zeit steht Polen deshalb auch nicht mehr auf der Liste der Hochrisikogebiete des Robert-Koch-Instituts, sodass nicht vollständig Geimpfte bei ihrer Rückkehr nach Deutschland nicht mehr in Quarantäne müssen.
Polen bietet als Urlaubsdestination ideale Voraussetzungen für einen Urlaub mit Abstand: Auf einer ähnlich großen Fläche wie in Deutschland leben bei uns nur etwa halb so viele Menschen. Unberührte Naturlandschaften und eine hervorragend ausgebaute touristische Infrastruktur bieten ideale Voraussetzungen, um sich aktiv zu erholen, zu Genießen oder um einfach nur die Seele baumeln zu lassen.
Wir haben in Polen zudem sehr schnell und umfassend auf die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie reagiert. Entsprechende Hygieneregeln gehören seit 2020 zum Standard sowohl für Beherbergungs- und Transportunternehmen wie auch für die Kulturbranche. Kontaktloses Einchecken und Bezahlen sorgen für zusätzliche Sicherheit. Zudem gelten weiterhin Maskenpflicht sowie Abstandsregeln.
Marek Brylla: Denken wir ein wenig weiter: Was bedeutet der Krieg in der Ukraine perspektivisch für den Tourismus in Polen? Was denken Sie? Werden Hotels als Unterkünfte für flüchtende Menschen benötigt und hat das Einfluss auf den Urlaub zum Beispiel an der polnischen Ostsee? Werden dort etwa Teil der Hotels nicht touristisch genutzt?
Polen steht in puncto humanitärer Hilfe in engem Austausch mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten. Gemeinsam bemühen wir uns, den Menschen aus der Ukraine eine würdige und sichere Unterbringung zu ermöglichen.
Seit Februar sind fast zwei Millionen Menschen zu uns nach Polen gekommen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Die meisten von ihnen kommen privat oder in Sammelunterkünften unter. Auch einige Hotels und Ferienanlangen werden vorübergehend zur Unterbringung genutzt, aber dabei handelt sich um keine Anlagen, die üblicherweise von deutschen oder anderen ausländischen Gästen gebucht werden. Es ist nicht zu erwarten, dass zum Beispiel Hotels in Ferienorten wir Kolberg für die Flüchtlingsunterbringung genutzt werden.
Marek Brylla: Wenn Sie das so sehen: Gibt es vielleicht auch Chancen für den Tourismussektor in Polen durch den Zuzug neuer Einwohner?
Zunächst einmal handelt es sich bei den Geflüchteten um hilfsbedürftige Personen, die ihre Heimat verlassen mussten und um ihre Angehörigen bangen. Da möchte ich nicht über deren mögliche Zukunft in Polen spekulieren. Aber sie haben recht, dass seit Jahren viele Menschen aus der Ukraine ihren festen Platz auf dem polnischen Arbeitsmarkt haben und auch die Tourismusbranche im ganzen Land bereichern. Dafür sind wir sehr dankbar.
Marek Brylla: Kommen wir einmal weg von Corona und Krieg: Wie sieht das Fremdenverkehrsamt die aktuellen Trends für Reisen nach Polen. Steigt die Nachfrage wieder und wenn ja, welche Regionen oder Reisetypen sind besonders auf dem aufsteigenden Ast? Gibt es Trends bei Unterkunftsarten, sind Gruppenreisen wieder ein Thema?
Da sind wir doch gleich wieder bei Corona, denn mit der Pandemie haben sich die Bedürfnisse der Reisenden verändert: Urlaub mit Abstand und Erholung mit Blick auf die Gesundheit liegen im Trend. Sehr gefragt sind deshalb unsere Nationalparks und die anderen Großschutzgebiete, aber auch unsere Kur- und Wellnesseinrichtungen. In den vergangenen beiden Jahren suchten viele Gäste auch gezielt nach Pensionen oder kleinen Schlosshotels in ländlichen Regionen. Zudem sind immer mehr Wohnmobile und Wohnwagen auf polnischen Straßen zu sehen, weil insbesondere deutsche Gäste viel Wert auf eine optimale Kombination aus Sicherheit und Komfort in der Natur legen. Gruppenreisen waren seit Beginn der Corona-Pandemie stark eingebrochen, aber ich habe den Eindruck, dass der Markt sich langsam wieder belebt.
Vor der Corona-Pandemie verzeichnete Polen ein kontinuierliches Wachstum bei den deutschen Gästen. 2020 mussten wir nach den Zahlen der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) bei längeren Urlaubsreisen einen Einbruch von 17,5 Prozent verkraften. Da jedoch viele andere Urlaubsländer größere Verluste zu verzeichnen hatten, konnte Polen in diesem Segment seinen Marktanteil sogar steigen. 2021 lagen die Ergebnisse auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr.
Marek Brylla: Polen bietet trotz vieler sehr hochwertiger Angebote auch immer noch einen sehr günstigen Urlaub. Kann sich das ändern? Durch das Angebot, durch die Energiepreise, durch die Kosten für die Bewältigung der Krisen? Spielt die Inflation auch hier eine Rolle?
Keine Frage, die Inflation bereitet vielen Menschen bei uns genauso Sorgen wie die zuletzt stark gestiegenen Energiepreise. Doch diese Preissteigerungen betreffen alle Volkswirtschaften in Europa, nicht nur Polen. Reisen wird insgesamt teurer, aber ich bin dabei ganz optimistisch, dass ein Urlaub in Polen weiterhin günstiger sein wird als in vielen anderen Ländern der Europäischen Union – und das bei einer sehr modernen touristischen Infrastruktur.
Marek Brylla: In Bezug auf den Klimawandel: Profitiert Polen von den sich daraus ergebenden Trends zu regionalerem Reisen, oder gibt es Gründe, dass das nicht geschieht?
Von diesem Trend können wir auf jeden Fall profitieren. Nicht nur durch Corona ist der Urlaub in der näheren Umgebung beliebter geworden. Viele Menschen wollen auch nachhaltiger reisen. Polen hat den Vorteil, dass es für deutsche Gäste ein sehr nahes und leicht zu erreichendes Ziel ist, aber gleichzeitig auch mit einer Prise Exotik gewürzt ist. Das ist eine Chance, die wir nutzen sollten.
Marek Brylla: Herr Guldon, vielen Dank für dieses wie immer sehr aufschlussreiche Gespräch zur touristischen Situation in Polen!
Ich hoffe, dass das Interview mit Herrn Guldon zum Thema „In Krisenzeiten Urlaub machen?“ für Sie ebenso aufschlussreich war wie für mich. Denn ich bin darin bestärkt worden, dass Polen sowohl aktuell als auch perspektivisch eines der wirklich attraktiven Reiseländer ist. Und: dass Reisen allen Beteiligten hilft, Krisenzeiten zu meistern!
Foto: Konrad Guldon, Bild: polnisches Fremdenverkehrsamt